Jürgen Palmtag
Es wird davon ausgegangen, dass
03.09. - 16.10.2016 

Die Produktion von Jürgen Palmtag ist äusserst vielgestaltig. Sie reicht von Malereien, Zeichnungen, Collagen und Objekten über Plakate und Textfragmente bis hin zu Autoaufklebern und T-Shirts. Es gibt wohl nur wenige Bereiche der sichtbaren Welt, in denen dieser Künstler sich noch nicht herumgetrieben und die er noch nicht für seine Bilderfindungen umgegraben und genutzt hätte. Was man sieht, ist mitunter sehr verwirrend, so dass man häufig nicht recht weiß, was man vor sich hat.


In jedem Fall aber hat man bei genauerer Betrachtung immer den Eindruck, dass mit großer handwerklicher Präzision gearbeitet worden ist und dass der Künstler immer weiß, was er tut. Wer genau hinsieht, wird spüren, dass hier nichts dem Zufall überlassen worden ist, sondern dass es offensichtlich eine klare Bildvorstellung gibt, der gefolgt wird und die schließlich realisiert wird.

Es lohnt sich vielleicht, sich einmal darüber bewusst zu werden, was wir selber tun, wenn wir etwa ein Auto, ein Haus oder eine Blumenvase zeichnen. Wir alle haben diese Dinge tausendfach gesehen und kennen die Formen, die diese Objekte identifizierbar machen. Der Betrachter unserer vielleicht mickrigen Zeichnungen hat die gleichen Seherfahrungen, die die Objekte dann auf dem Papier für ihn erkennbar werden lassen. Wir alle beziehen uns in der Welt der Darstellungen auf ein uns allen gemeinsames Bildrepertoire, das uns über viele Jahre hinweg vertraut geworden ist und in dem wir uns auskennen. Was aber, wenn wir in einer Darstellung Formen und Figuren begegnen, die wir nicht kennen? Und diese doch so aussehen, als seien sie durchaus vorfindbare und geläufige Bestandteile unserer sichtbaren Welt?

Wer sich als Betrachter den Arbeiten Palmtags etwas länger aussetzt, kann sehr eigentümliche Erfahrungen machen. Es ist, als ob man etwas von der Konventionalität spürt, mit der man sich in der Welt orientiert. Nach einigen Lebensjahren haben wir uns gut an die Dinge gewöhnt und fühlen uns sicher in unserer Welt, in der die Begriffe fest mit den Dingen verknüpft sind. Hier kann man allerdings von dem Eindruck erfasst werden, dass alles auch ganz anders aussehen könnte. Es entsteht eine durchaus angenehme Verunsicherung, eine Art von Brummen im Gehirn, das mit seinem Suchen nach Verstehen und Erklären ins Leere greift.

In der Ausstellung sind einige Bilder auf dickwandigen Aluminiumträgern zu sehen, die aus der jüngsten Produktion stammen und aus der Serie der Vorfrunsen stammen. Der schöne und natürliche Serientitel erlaubt einen Seitenblick auf die akustische, text- und sprachförmige Produktion Palmtags, die einen breiten Raum einnimmt. Auch in der Text- und Geräuschwelt passiert etwas Ähnliches wie in der sichtbaren Realität: der Hörer wird mit auditivem Material beschallt, auf das er sich keinen Reim machen kann. Das aus dem Mund kommende Geräusch erinnert nur von fern an Sprache, und auch die Klänge meint man wo- möglich in der Welt schon gehört zu haben. Da alles mit großer Entschiedenheit und dem Gestus der Selbstverständlichkeit vorgetragen wird, gerät das Gehirn des Hörers ins Vibrieren. Man kann das eigene Bedürfnis nach semantischer Ordnung direkt verspüren, das in der Normalwelt immer so geräuschlos funktioniert, das wir es nicht einmal bemerken.

Diese Bemerkungen wollen nichts erklären. Man kann die Arbeit Jürgen Palmtags schulterzuckend zur Kenntnis nehmen als Teil der hypertrophen Kunstproduktion unserer Tage. Aber bei ausgiebiger Betrachtung kann man da durchaus etwas erleben.

Dr. Andreas Sturies