Marlene Baum, April 2020
Spontan:
„Scheint so“
Bin ich scheinheilig, wenn ich mich angesichts der neusten Arbeiten von Wolfgang Flad der Selbstbespiegelung hingebe statt mein eigenes Erscheinen im Kunstwerk bewusst auszublenden? Auf den ersten Blick scheinen mir die durchscheinenden, in Spektralfarben rätselhaft eingefärbten Scheiben oberflächlich, gefällig. Anscheinend verbergen sie etwas, und ich versuche, der Sache auf den Grund zu gehen. Doch je mehr ich wahrnehme, wie mich der Schein trügt, desto mehr zieht er mich in seinen Bann, wie ein farbiges Schwarzes Loch, das alles aufsaugt und alles von sich gibt. Eine irritierende Scheinwelt tut sich auf – spiegeln sich der Raum, die Umgebung, ich mich, weitere Kunstwerke, andere Betrachter in den Gläsern, deren schrille Farben sich komplementär verändern, sobald ich meine Position oder meinen Blick nur im Geringsten verändere. Scheinbar stetig und doch unberechenbar schimmert der Untergrund hindurch - eine anscheinend monochrom eingefärbte poröse Oberfläche mit Strukturen wie von Schwämmen oder Lava oder fernen Gestirnen, morbide, trostlos, wie scheintot, zum Leben erweckt nur durch plötzlichen Sonnenschein oder durch mich, die ich mich bewege. Was erkenne ich? Augenscheinlich ein Relief? Der in die Senkrechte gebrachte Wasserspiegel des Narziss? Oder ein Bild? Scheingefecht bildnerischer Disziplinen? Newtons Farbenlehre gegen die von Goethe? Philosophische Auseinandersetzungen um den schönen Schein? Oder zwischen dem erkennenden Subjekt und dem zu erkennenden Objekt? Das Leben ein Schein?
Scheint so
Reflektiert:
„Dark Side of the Moon“
Erst beim zweiten Besuch der Ausstellung erfuhr ich den Titel der neuen Arbeiten von Wolfgang Flad. Daraus ergaben sich mir weitere Assoziationen, setzt sich der Künstler doch schon länger mit Schein und Wirklichkeit auseinander.
In der Serie der „Splash“ scheint die eigentliche Brutalität der Verletzung von Oberflächen aufgehoben durch die Schönheit der Farbigkeit, die schimmernde Glätte des hochstehenden Materials und den kalligraphisch-choreographischen Charakter der Einkerbungen.
Die skelettartigen, filigranen sich umeinander biegenden Plastiken einer weiteren Serie scheinen aus Holz gefertigt zu sein, in Wahrheit bestehen sie aus Schriften über Kunst, die Flad zu Papiermache verarbeitet. Damit unterläuft er ihre kunstwissenschaftliche Bedeutungsschwere und führt sie einem neuen Zweck zu: Der Kulturträger Papier, beschriftet mit Überlegungen zu Kunst von Kunsthistorikern, mutiert zum Kunstwerk aus Holz, dass es nicht ist, und aus dem bekanntlich das Papier gewonnen wird. Das ist ebenso tiefsinnig wie ironisch, zumal niemand weiß, wer die Texte überhaupt erdacht und wer sie je gelesen oder gar verstanden hat. Mich bestätigt das in meinem Gefühl, ein Text über Wolfgang Flad müsse kurz sein, um seiner extrem verdichteten künstlerischen Aussage gerecht zu werden.
Mit der Serie „Dark Side of the Moon“ reflektiert Wolfgang Flad als künstlerischer Philosoph das Phänomen des Scheins ausgehend vom Mond, der im Abglanz der Sonne erscheint und mit ihrem Widerschein die Nächte auf der Erde zu erhellen vermag. Nicht nur in der Kosmologie geht es um Schein und Wirklichkeit, damit ist die gesamte Philosophie der Ästhetik befasst, also auch die des schönen Scheins, von Platons Höhlengleichnis über die symbolische Lichtführung als Erscheinung des Göttlichen in mittelalterlichen Kathedralen, Schillers „Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen“ über Hegel und Nietzsche, der „das Leben im Schein als Ziel“ verstand. Die dunkle, nicht zu erkennende Seite zu akzeptieren widerspricht unserem Erkenntnisdrang, weil sie uns verunsichert - als hätte Flad die derzeitige Situation antizipiert.