Aus der Distanz ganz nah
24. Februar 2021
Bert Didillon und Hanna Kuster
bei den Grölle pass:projects in Wuppertal
Kunst in NRW 03/21
Wie funktionieren Galerien im Lockdown? Ihr Status ist im Kunstgeschehen speziell. Galerien sind keine Museen oder Kunstvereine, rekrutieren aber die Künstler für diese. Als erster Ansprechpartner für die Künstler präsentieren sie oft die neuesten Werkgruppen und bringen sie überhaupt erst in die Öffentlichkeit. So wichtig es ist, Kunst zu betrachten, so sehr geht es doch nicht ohne ihren Verkauf, und dafür sind eben Galerien zuständig. Sie sind Wirtschaftsunternehmen, „Geschäfte“, die (im Gegensatz zu Museen) kostenlos besucht werden können. Sieht man die Schlangen vor manchem Museum, so erstaunt es erst recht, wie wenige Kunstliebhaber tatsächlich in Galerien kommen. Daran änderte auch nichts, dass im Lockdown light die Galerien mit ihrem privatwirtschaftlichem Hintergrund und ihren Hygienekonzepten geöffnet bleiben durften und zeitweilig die einzige Möglichkeit waren, Kunst im Original zu sehen. Nun sind auch sie geschlossen, und doch sind sie mit ihrer Beweglichkeit und ihrer Spontaneität häufig erneut den Museen einen Schritt voraus.
Viele der Galerien nutzen schon seit Jahren die sozialen Netzwerke als Kommunikationsstrategien, um ihre fernen Sammler und Künstler zu informieren und auf sich aufmerksam zu machen. Dieses Know-How kommt in Zeiten, in denen die Kunst lediglich durch Schaufenster zu sehen ist, erst recht zum Einsatz, neben der eigenen Website besonders via Facebook und Instagram.
Insbesondere Facebook ist die Sache der Galerie Grölle pass:projects in Wuppertal-Elberfeld, die mit ihrem frischen, medienübergreifenden Programm über Deutschland hinaus hoch angesehen ist. Der Name ist Konzept: die Galerie arbeitet im engen Austausch mit anderen Ausstellungshäusern weltweit und vertraut dabei einem festen Stamm an Künstler*innen, die immer wieder wie beim Ping Pong-Spiel in dialogischen Ausstellungen aufeinander treffen.
Das betrifft auch die aktuellen, online sehr gut nachzuvollziehenden Ausstellungen von Hanna Kuster und Bert Didillon, die in getrennten Räumen gezeigt werden. Hanna Kuster, die mit gerade 24 Jahren hier eine tolle Ausstellungspremiere feiert, bewegt sich bei ihren Papierarbeiten zwischen Malerei und Zeichnung. Bert Didillon, der 1965 geboren wurde und an der Düsseldorfer Kunstakademie Meisterschüler von Alfonso Hüppi war, entwickelt Reliefs und Objekte, die sich oft zwischen Raum und Fläche verhalten. Für die Werke von Kuster und Didillon scheint die digitale Vermittlung, zu sehen auf dem Monitor – also der Verzicht auf die Begegnung im Gegenüber – schwer. Dafür hat die Galerie mit dem Film jedoch ein ideales Medium und mit Michael Baudenbacher einen kongenialen Filmemacher gefunden. Zu sehen auf Facebook, nähert sich die Kamera den Werken sukzessive an, wird neugierig und hält inne, umkreist sie und tastet aus nächster Nähe über die ganz unterschiedlichen Oberflächen.
Hanna Kuster, die an der Kunstakademie Düsseldorf bei Tomma Abts studiert, zeigt kleine, in ihrer Dichte vibrierende, farbige Handzeichnungen sowie große mehrschichtige Malereien auf Papierbahnen, die mitunter wie enorm vergrößerte Details wirken. Sie arbeitet mit unterschiedlichen Malmaterialien und erzielt in der „gestrickten“ Kleinteiligkeit, die in der variierten Abfolge winziger Zeichen und Striche an Zäune oder Netze erinnern kann, eine immense Raumwirkung. Die Bilder wirken plötzlich wie gekippte Ausschnitte aus Gebäudestrukturen und Industriearealen. Also, die feine, minutiöse Intensität trifft auf widerständige Texturen, die nun aber eine enorme Sinnlichkeit entfalten.
Diese Ambivalenz verbindet Hanna Kuster mit den im Look ganz anderen Werken von Bert Didillon. Seine Werke tragen meist etwas Beiläufiges, als handle es sich gar nicht um Kunst sondern Überbleibsel unserer Zivilisation, übereinander geschichtete Plastikelemente oder aufgefaltete Kartonagen etwa, die da auf dem Boden stehen oder an der Wand hängen. Und dann tritt man (mit dem Auge der Kamera) näher, schaut genauer und sieht, dass die Plastikteile in einer austarierten Balance über einem Raster liegen oder die Kartonagen tatsächlich in mehreren Farbschichten bemalt sind. Dass die Knicke und Einrisse einbezogen und als Komposition austariert sind. Dass die Farben interagieren und überhaupt hier nichts zufällig ist und trotzdem eine spielerische Leichtigkeit vorherrscht. Nebenbei stellt Didillon mit seinem Vokabular immer wieder Bezüge zum Modernismus und insbesondere zum Suprematismus her: Er befragt deren Potential für unsere heutige Zeit. Also, wie bei Hanna Kuster, je mehr man sich drauf einlässt, desto mehr wird man fündig. - Baudendachers Film hat bereits rund 1.700 Aufrufe, und man sollte sich vorstellen, wie viele Menschen das, auch bei Mehrfachklicks, sind. Und bei der Qualität beider Ausstellungen könnten und sollten es noch mehr werden.
Hanna Kuster / Bert Didillon | bis 20. März, sofern geöffnet werden darf, an diesem Tag Finissage unter den dann geltenden Regeln und Hygienemaßnahmen | Grölle pass:projects in Wuppertal | 0173 261 11 15 | www.passprojects.com
Thomas Hirsch