Der schmale elegante Turm der Stadtsparkasse Wuppertal überragt in seiner ungewöhnlich technischen, futuristisch wirkenden Form die gesamte Stadt und hebt sich deutlich von den Gründerzeitgebäuden der Industriemetropole ab. Beinahe von der ganzen Stadt aus ist das raumkapselartige Penthouse des Gebäudes zu sehen, von den waldigen Hängen des Bergischen Landes aus, von der Autobahn, die die Stadt an Düsseldorf und Köln anschließt und natürlich auch von der Schwebebahn aus, die am Fuße des markanten Turms vorbei rauscht und ein nicht weniger visionäres Wahrzeichen Wuppertals darstellt. Die Ausstellung „Heimatplan“, die am 23. Januar in der Galerie GRÖLLE pass:projects eröffnet wird, zeigt den Blick zeitgenössischer Künstler auf die Architektur der Nachkriegsmoderne.
Die Architektur der Nachkriegsmoderne
Überall in Europa entstanden in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Gebäude aus einem ganz ähnlichen Geist heraus wie der Turm der Stadtsparkasse. Die Architekten, die die zerstörten Städte wieder aufbauten, ganze Viertel und Zentren neu anlegten und eine neue Infrastruktur planten, verfolgten dabei ganz bestimmte Ideale. Es ging ihnen um das Umsetzen demokratischer Ziele, um menschenwürdiges Wohnen, um Transparenz und Eleganz und vor allem um einen optimistischen Glauben an die Zukunft. Neu entwickelte Materialien und Techniken aus der Luft- und Raumfahrt ermöglichten zudem innovative Gebäudeformen und nicht selten eine sehr skulpturale Herangehensweise. Die Architektur der Nachkriegsmoderne reicht in ihrer Bandbreite von streng funktionalen Modulbauten, Rasterfassaden und vermeintlich spröder Zweckarchitektur über futuristisch wirkende Space-Age-Konstruktionen bis hin zur rauen Opulenz brutalistischer Betonbauten.
Die heutige Sicht auf die Nachkriegsmoderne
Viele Gebäude dieser Epoche verschwinden heute beinahe unbemerkt aus dem Stadtbild, oftmals ohne Widerspruch der Bevölkerung. Andere werden im Rahmen des Bauens im Bestand bis zur Unkenntlichkeit modifiziert. Dabei geht gerade das, was das Charakteristische dieser Bauten ausmacht, verloren: die eleganten Proportionen, die aus dem Zusammenspiel von Linien und Flächen entstehen, die subtilen Details der Gestaltung, die sich beispielsweise in der Verbindung von Oberflächen und Fugen zeigen, bis hin zu den ganz typischen Materialien und Farben dieser Zeit. Einige wenige Gebäude, wie das der Stadtsparkasse Wuppertal, werden in ihrer Besonderheit geschätzt und unter Denkmalschutz gestellt. Oftmals jedoch sind sie große Unkenntnis und Ignoranz ausgesetzt. Wir leben in einer Zeit, in der man infolge einer riesigen Bilderflut wohlwollend auf alle möglichen Stile und Epochen zurückblickt. In den Bereichen Mode, Film und Architektur spielt der Retrogedanke seit Jahren eine große Rolle. Wie kann es jedoch sein, dass ausgerechnet die Architektur der Nachkriegsmoderne derart in Gefahr ist? Was ist aus den Utopien dieser Zeit geworden und wer glaubt heute noch an sie? Worin liegt die Schönheit der Gebäude, die in diesem Zusammenhang entstanden sind?
Heimatplan. Eine Ausstellung in der Galerie GRÖLLE pass:projects
Die Künstler der Ausstellung „Heimatplan“ stellen genau diese Fragen. So unterschiedlich sie sich in ihrem jeweiligen Medium mit den Formen und Idealen der Nachkriegszeit auseinandersetzen, so haben sie dennoch eine große Gemeinsamkeit. Allesamt sind sie geprägt von der Begeisterung für die architektonische Bildsprache der Nachkriegsmoderne. Sie betrachten die verschiedenen Gebäude dieser Epoche in ihrem kunst- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang, stellen Bezüge zu städtebaulichen und gesellschaftlichen Fragen her, sehen aber auch das Phantastische in der Architektur dieser Jahre und die Verbindung zu Science-Fiction-Filmen, Sputnik-Schock und Mondlandung. „Heimatplan“ stellt die Bedeutung der Nachkriegsarchitektur in unserer heutigen Zeit heraus und lässt die ganz besondere Schönheit dieser Gebäude sichtbar werden. Ausgangspunkt der Ausstellung ist der 100. Geburtstag des Architekten Paul Schneider von Esleben im Jahr 2015 und sein Entwurf für die Stadtsparkasse Wuppertal. Wie die einzelnen Künstler des Projekts „Heimatplan“ ihre Identifikation mit dem Geist der Moderne jeweils umsetzen, ist ab dem 23. Januar 2016 in der Galerie GRÖLLE pass:projects in Wuppertal zu sehen. Im April 2016 findet in diesem Zusammenhang darüber hinaus mit der Ausstellung „Neue Heimat“ in der Galerie weisser elefant in Berlin eine weitere Ausstellung zum Thema Nachkriegsmoderne statt.
Julia Zinnbauer